Über das Zusammenleben mit Hunden

Inzwischen weiß man, dass Hunde schon mehr als 35 000 Jahre an der Seite des Menschen sind. Der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal hat bei seinen Studien mit Hunden und Wölfen im Forschungszentrum in Ernstbrunnn herausgefunden, dass Hunde, wenn es um Kooperation geht, lieber mit einem Menschen kooperieren, als mit einem Artgenossen. In seinem Buch Hund & Mensch, das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft, geht er mit einer Behauptung sogar so weit, dass Hunde eigentlich nicht mehr ohne Menschen können und umgekehrt Menschen nicht ohne Hunde. Wie wichtig die sozialen Aspekte im Zusammenleben sind, beschreibt er sehr ausführlich.

Wie leben in der heutigen Zeit Menschen und Hunde zusammen? Welche Funktion, oder besser gesagt welche Aufgaben haben unsere Hunde?

Wenn man genau hinschaut, soll der Hund in vielen Bereichen nach unseren menschlichen Vorstellungen und Wünschen funktionieren, oder Aufgaben erledigen, die wir als sinnvoll erachten. Durch gezielte Zucht haben wir verschiedene Spezialisten selektiert, wie zum Beispiel Jagdhunde, Hütehunde oder Herdenschutzhunde, um nur einige zu nennen. Nicht wenige Menschen definieren sich auch über ihre Hunde, man HAT eine bestimmte Rasse. Wandelt man durch eine Hundeausstellung unter dem Aspekt, welcher Typ Mensch, hat welche Rasse, so springen ggf. sehr auffällige Details ins Auge, sei es, dass Hund und Halter farblich durch Halsbänder, Accessoires und Kleidung aufeinander abgestimmt sind, oder auch unübersehbare Ähnlichkeit im Gesichtsausdruck beider zu finden ist.

Hunde sind auch ein großer wirtschaftlicher Faktor. Gaben doch die Deutschen in 2018 rund 1,4 Mrd für Hundefutter aus und ca. 220 Mio für Spielzeug. Eine beachtliche Summe. Also tun wir doch alles für unseren Hund, geben ihm alles was er braucht. Oder?

Aber fragen wir uns als Halter: Was will mein Hund wirklich? Was braucht er zum glücklich sein? Also aus Hundesicht und nicht das was wir uns vorstellen was Hunde mögen! Leider sprechen Hunde nicht unsere Sprache in Worten und viele Hundehalter sind regelrechte Analphabeten in „Hündisch“. So ist die Kommunikation teilweise recht holprig. Manchmal denke ich, könnten Hunde unsere Sprache sprechen, würden wir uns gehörig umschauen, was sie uns alles so sagen würden. Hunde verstehen unsere Sprache im Übrigen viel besser als wir ihre. Wir sollten uns also wirklich anstrengen IHRE Sprache lesen zu lernen und zu verstehen.

Immer wieder sinniere ich darüber, wie das wohl in den Anfängen war, als Hund und Mensch, bzw. am Anfang war es ja der Wolf, zusammenkamen. Trainingsphilosophien und Hundeschulen gab es da wohl nicht, geschweige denn einen Hundeplatz auf dem man geübt hat.

Vermutlich haben Wolf und Mensch sehr schnell begriffen, was für einen gegenseitigen Nutzen beide Arten voneinander haben. Mit Zwang, Druck und Angst hätte diese Annäherung sicher nicht stattgefunden. Sondern vielmehr durch gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung der gegenseitigen Fähigkeiten und auf freiwilliger Basis. Beide haben voneinander profitiert und tun es noch heute.

In den Jahrtausenden des Zusammenlebens, hat sich sehr viel verändert. Bei Hofe gab es Schoßhündchen, die verhätschelt und verzärtelt wurden und sich selbstverständlich das Bett mit ihrer Herrin teilten. Als Adeliger ließ man sich mit seinem Hund porträtieren und bei Familienbildern war der Hund mit dabei. Diese Hunde waren privilegiert, während die Arbeitshunde teilweise unter fürchterlichen Umständen lebten. Zu Zeiten der Pest wurden auch schreckliche Rituale an Hunden vollbracht. Der Mensch war und ist teilweise sehr grausam zu seinem treuen Begleiter.

Stefan Kirchhoff hat Straßenhunde in Süd-und Südosteuropa beobachtet und herausgefunden, dass das Leben auf der Straße für viele gar nicht so schlecht ist, denn nicht wenige werden von den Menschen mitversorgt und es gibt wahrlich besonders pfiffige, die sich z.B täglich in einer Mensa an der Uni um 17:00 Uhr bei einer Köchin Hackfleischbällchen abholen. In unseren Breiten tatsächlich unvorstellbar.

Sehr problematisch ist allerdings, wenn diese Hunde nicht kastriert sind und so für unzähliges Leid sorgen, da ein Welpe, der auf der Straße geboren wird, kaum Überlebenschancen hat. Die einzig sinnvolle Möglichkeit sind hier Kastrationsprogramme vor Ort, wie zum Beispiel S.P.E.P in Rumänien von Sandra Pfaffinger.

Interessanterweise haben Straßenhunde untereinander relativ wenig Streitigkeiten, man arrangiert sich. Ein Rudel (definiert als eng verwandter Familienverband) im biologischen Sinne gibt es nicht, sondern eine Hundegruppe mit gewissen individuellen sozialen Regeln. Den größten Teil des Tages verbringen die Hunde laut Kirchhoff mit Ruhen und Schauen und nicht mit Nahrungsaufnahme und Reviergängen und Rangordnungskämpfen, wie man es als Laie oft vermutet. Unter guten Versorgungsbedingungen ein recht entspanntes stressfreies Leben und vor allem selbstbestimmt!

Ist nun das Leben unserer Hunde in der heutigen Zeit frei und selbstbestimmt? Können sie Hundedinge tun nach ihrem Gusto? Wenn ich es genauer betrachte finde ich das Leben unserer Hunde sehr fremdbestimmt und unfrei und sie müssen vieles machen, das ihnen aus eigenem Antrieb niemals in den Sinn käme. Wie viele Tricks erlernen Hunde, weil wir es lustig oder toll finden. Klar werden sie belohnt, bekommen Kekse, Lob und Anerkennung, aber wollen Hunde wirklich gerne einen Handstand machen, Fuß genau auf Kniehöhe laufen, kilometerweit neben dem Fahrrad herrennen ohne ihre Zeitung ausgiebig mit Punkt und Komma zu lesen, sich augenblicklich auf Kommando ins Platz auf den schneematschnassen Boden legen oder genaue geometrische Rechtecke laufen? Wohl kaum. Unzählige, angeblich niedliche Videos geistern durchs World Wide Web. Schaut man genauer hin und beobachtet die Darsteller genau, ist sehr deutlich zu sehen, dass sich die wenigsten Tiere wohl fühlen, häufig halten sie es nur irgendwie aus.  Ja diese Beispiele sind vielleicht überspitzt, aber ich finde wir sollten uns in unserer Wohlstandsgesellschaft deutlich mehr Gedanken darum machen, was die wirklichen Bedürfnisse unserer treuen Freunde sind.

Für viele ist der eigene Hund heute ein Familienmitglied. Familienmitglieder sollten sich meiner Meinung nach entfalten dürfen. Klar gibt es Regeln oder Absprachen im sozialen Miteinander, doch Persönlichkeitsentwicklung und Individualität finde ich, sind ein hohes Gut innerhalb einer Familie. Sind diese beiden Attribute bei einem Hund erwünscht? In vielen Fällen nicht, da ist es dann schon erstrebenswerter, dass der Hund sich an unser Leben anpasst und funktioniert. Hundehalter die sich sehr genau auf individuellen Bedürfnissen und Besonderheiten ihrer Hunde einstellen, bekommen schnell den Stempel eines Spinners aufgedrückt, weil der Hund muss eben doch dies oder jenes einfach abkönnen, oder aushalten.

In Zeiten von Corona ist der Begriff Achtsamkeit in vieler Munde und fast schon abgedroschen. Dennoch möchte ich ihn verwenden, weil er passt für mich doch gut für das, was ich beschreiben möchte. Und man kann den Wortteil ACHTsamkeit gut mit anderen Wortteilen ersetzen und damit beschreiben was wichtig ist im MITeinander. GEMEINsamkeit bei Spaziergängen und keine EINsamkeit, weil Mensch und Hund sich zwar auf der gleichen Strecke bewegen, aber eben nichts zusammen machen, außer sich fortbewegen. Entdecken wir wieder die LANGsamkeit und nehmen zusammen die Umgebung wahr. Lassen wir sie HUNDEDINGE tun, passen wir uns IHREM TEMPO an, wenn sie schnüffeln wollen und lassen ihnen die Zeit dazu, die sie brauchen. Pressen wir sie nicht ausschließlich in unseren Alltag.  ACHTEN wir aufrichtig mit ehrlicher Emotion aufeinander und nicht, weil es gerade so modern ist. Schauen wir GENAU hin, so können Mensch und Hund ZUSAMMEN GLÜCKLICH sein.

Eine Anmerkung zum Schluss

Es ist jetzt nicht so, dass ich Hundeschulen „verteufle“, bin ich ja selber schließlich Hundetrainerin und betreibe auch eine kleine Hundeschule, aber wir müssen weg von diesem ganzen Trainings- und Konditionierungswahnsinn. Der Hund ist keine beliebig konditionierbare Biomasse! Wir Menschen müssen uns wieder mehr aufeinander und auf unseren Hund einlassen, mehr nach Gefühl agieren. Hundetrainer haben meiner Meinung nach viel mehr die Aufgabe die Menschen zu „trainieren“ oder besser gesagt zu „erden und auszurichten“, dass sie die Persönlichkeit und Talente des eigenen Hundes entdecken und annehmen. Wir müssen lernen eine gemeinsame Sprache zu sprechen.

© 2020 Claudia Muxfeldt Hundeschule Lechfeld, Kromfohrländer von der Muggesfelder Heide